Wie kauft man ein Pferd aus Island?
Dass Island immer eine Reise wert ist und gern mal ein echtes Abenteuer bedeutet, ist bekannt. Heike Mertens hat sich dort unlängst der besonderen Herausforderung namens Pferdekauf gestellt, und nachfolgend berichtet die Anwältin aus Berlin auf unnachahmlich unterhaltsame und informative Weise von ihren Erlebnissen gemeinsam mit der dort lebenden Deutschen Nicki Pfau als persönlicher Pfadfinderin.
Wie kauft man ein Pferd aus Island?
Von Heike Mertens
Ich wollte ein Pferd aus Island kaufen. Doch wie finde ich das Richtige?
Einige Wochen lang habe ich mich im Internet herumgetrieben, auf der Facebook-Seite "hestar til sölu" die Neuzugänge inspiziert und die Homepages von vielen Höfen durchsucht. Viele Hofseiten haben keine Option für englische Texte und man muss also wenigstens einige Brocken isländisch verstehen, um die Unterseite mit den Verkaufspferden zu finden (nicht, dass man eine peinliche Mail absendet, mit dem Antrag, den hochverdienten Vererber zum Schnäppchenpreis zu erwerben), die Beschreibung wenigstens im Groben zu verstehen und vor allem, um die Stuten von den Jungs unterscheiden zu können.
Da ich mir das Pferd auf jeden Fall persönlich angucken wollte, musste ich zusätzlich rausfinden, wo sich die Höfe überhaupt befinden, denn es macht ja keinen Sinn, in vier Tagen oder einer Woche quer durch Island zu fahren. Schon nach kurzer Zeit war mir klar: Ich brauche einen Koordinator, Vorsortierer, Menschen, der die Höfe und am besten die Pferde ebenfalls kennt oder für mich kennen lernt. Auf der isibless-Seite fiel mir die Anzeige von Nicki Pfau auf. Die Homepage war sehr ansprechend, sie ist Deutsche, lebt seit fast 20 Jahren in Island und kann Texte schreiben, dass man sich schon morgen auf der nächsten WM wähnt.
Also habe ich ihr eine Mail geschrieben, ihr gesagt, dass WM-Teilnahmen aufgrund stets nach außen zeigender Fußspitzen und der Neigung zu unkontrollierten Ausritten demnächst nicht vorgesehen sind, aber dennoch ein talentiertes Pferd gesucht wird, dass nicht so teuer ist, dass meine Kinder künftig im Kohlebergwerk arbeiten müssen (allenfalls halbtags).
Nicki schickte mir sofort mehrere Videos von Pferden, die teilweise auch auf ihrer Homepage waren, teilweise auch nicht. Daraus habe ich die Schimmel und Schecken aussortiert und später zumindest den Schecken wieder einsortiert, weil das Video so schön war. Dann wurde ein Flug gebucht und meine Freundin und Trainerin Silvia Blisse gefragt, ob sie mich begleiten möchte, um das Schlimmste zu verhindern (ich habe einmal versehentlich nach 17 Proberitten innerhalb von zwei Tagen eine bezaubernde 1,36 m große Stute gekauft, die dann alle Mühe hatte, meine fast 1,80 m auszubalancieren. Ich weiß auch nicht, wie das kam, ich hab´s beim Kauf irgendwie übersehen). Zum Glück hat Silvia sofort zugesagt und so ging es Mitte November los nach Island.
Nicki hatte uns vorher geschrieben, dass wir in ihrer Wohnung in ihren Gästezimmern wohnen können, sie sei aber am Anreisetag erst Abends zu Hause, der Schlüssel liege unter der Matte. Es fing also richtig schön isländisch an. In ihrer Wohnung saßen wir zunächst etwas beklommen herum, man kam sich vor wie ein Einbrecher, also haben wir unter der strengen Beobachtung ihrer beiden Katzen huldvoll auf dem Sofa gesessen und die Wanddekoration betrachtet. Nach einer Stunde kam Nicki und mit Betreten der Wohnung war es vorbei mit der Beklommenheit.
Wir stürzten uns sofort in das Nachtleben von Selfoss (Bridget Jones würde sagen: Anzahl der Kneipen, die bis 22 Uhr geöffnet haben: 2, Anzahl der Kneipen, die nach 22 Uhr geöffnet haben: 1, Anzahl der Menschen, die außer uns nach 22 Uhr in Selfoss in der Kneipe sitzen: 0) und mussten Lakritzvodka mit Mentholunternote zu uns nehmen.
In den nächsten beiden Tagen fuhren wir dann zu insgesamt fünf Höfen:Blesastaðir, Kvistir, Eyrún Páls, Oddholl und Árbakki und ich probierte insgesamt acht Pferde aus.
Das Ausprobieren lief eigentlich immer nach demselben Schema ab: Wir betreten den Stall, der voll mit Pferden und menschenleer ist, bis auf das zu jedem Stall gehörende 18-22 Jahre alte Mädchen aus Deutschland, das dort arbeitet. Dann erscheint ein Isländer in schwarzen Topreiterhosen und es wird Kaffee getrunken und über alles mögliche geredet, außer über die bevorstehenden Proberitte. Dann wird das Pferd geholt und der Isländer versucht, den Sattel zu weit nach hinten zu legen und Nicki schiebt ihn wieder nach vorne.
Der Isländer schwingt sich in den Sattel und reitet davon, wir versuchen, mit dem Jeep hinterherzufahren und fahren dann nebenher. Jeder Isländer zeigt während des Proberittes, dass er auf dem Pferd wild mit der Gerte in der Luft herumfuchteln kann, anscheinend ist man in Island der Ansicht, den Deutschen ist das wichtig. Dann habe ich das Pferd ausprobiert, einige erstmal in der Halle und dann draußen. Es war gut, dass wir uns nicht zuviel vorgenommen hatten, denn nach dem fünften Pferd hatte ich das erste eigentlich schon wieder vergessen.
Es war absolut hilfreich, Nicki und Silvia an meiner Seite zu haben. Nicki hat alle meine Ritte gefilmt, wundervolle Fotos gemacht und meine Hoffnungen, eines Tages als Isabell Werth der Islandszene groß durchzustarten, im Keim erstickt. Nach dem dritten Pferd verkündete sie: "Ich glaube, den restlichen Viergängern können wir gleich absagen, ich sehe Dich eher auf einem Fünfgänger." Und damit hatte sie vollkommen recht, hatte ich doch etwa drei Wochen vor meiner Abreise während eines Kurses beim Pferdetausch von meiner Fünfgangstute auf einen Viergänger gemerkt, dass der Viergänger an sich und ich merkwürdige Kommunikationsprobleme haben.
Also konzentrierten wir uns auf die Fünfgänger und die 4 1/2 Gänger. Da Nicki sämtliche FIZO Ergebnisse der Pferde oder ihrer Vorfahren auswendig wusste und die meisten auch persönlich kannte, konnte sie viel zu den einzelnen Pferden erzählen, insbesondere zur Bedienungsanleitung und - nach meinem jeweiligen Ritt - zur Frage, ob das jeweilige Pferd aus ihrer Sicht zu mir passen würde.
Die Isländer zeichneten sich hingegen durch eine gewisse Wortkargheit aus, kein einziger hat sein Pferd irgendwie angepriesen oder versucht, außer durchs Vorreiten auf irgendwelche besonderen Fähigkeiten hinzuweisen. Alle Pferde entsprachen meinem Suchprofil, es waren nur immer Kleinigkeiten, die mir beim Ausprobieren deutlich machten, ob das Pferd in Frage kommt oder nicht. Eine Stute beschwerte sich über meine Versuche, das Tempo zu reduzieren oder ich merkte, dass die Reitriesen von 145 cm und mehr trotz meiner eigenen Größe mir irgendwie zu massiv sind.
Eine vierjährige Stute verzauberte mich durch eine Kooperationsbereitschaft, wie ich sie eigentlich beim Reiten noch nie gespürt habe, es war wirklich reine Kommunikation möglich ohne Gegenwehr oder Missverständnisse und das bei diesem Alter (also des Pferdes). Dazu kamen noch super Gangqualitäten und eine gute Balance. Ich war total begeistert und der Preis stimmte auch noch. Nach diesem Ritt saß ich hochzufrieden im Auto, nur die eigentlich "aussortierte" Scheckstute stand noch auf dem Programm. Wenig Schecke, viel weiß. Aber Silvia war sich sicher: Sie hat auf dem Video beim Aufsteigen des Reiters so niedlich mit den Augen geplinkert, ein Besuch bei ihr war damit zwingend vorgesehen.
Die Stute gehörte Àrni Björn Pálsson und Nicki klärte uns Ignoranten auf der Hinfahrt erstmal darüber auf, dass Àrni Björn 2014 die höchsten Noten weltweit in T1 Prüfungen erritten hat und eine absolute Berühmtheit ist. Er lebt mit seiner Frau, die wie er ebenfalls Holar-Absolvent ist, auf einem mittelgroßen Hof und sie haben so viele Berittpferde, dass für besagte Scheckstute wenig Zeit blieb.
Nicki bereitete mich nochmal darauf vor, dass Árni Björn von allen wortkargen Isländern der wortkargste sein kann. Falls er wenig sprechen würde, sei das nicht böse gemeint. Als wir auf den Hof kamen, wurde die Stute, die mit einer Back-on-Track-Decke schon mal vorgewärmt in der Box gestanden hatte, nach kurzer Begrüßung sofort gesattelt (normal!) und in der Halle vorgeritten, da es draußen inzwischen fast dunkel war. Ich war gleich total begeistert. Aber ich dachte noch, dass in des Meisters Hand wahrscheinlich jeder Rumpelfüßler zu Hochformen aufläuft und war daher gespannt auf meinen eigenen Ritt.
Schon beim Schrittreiten fühlte ich mich absolut wohl, Tölt und Trab waren ebenfalls toll. Zu galoppieren habe ich mich in der kleinen Halle, in der sich auch noch ein Roundpen und ein riesiger Camper befanden, nicht getraut. Wir vertagten daher das weitere Probereiten auf den nächsten Tag.
Am nächsten Tag wurde mir zuerst gezeigt. wie die Stute vom Boden aus gearbeitet wird. Es war wirklich faszinierend, wie gut sie Seitengänge vom Boden aus beherrscht und auf Stimmkommandos hört. Da Árni sich wesentlich intensiver mit dem Pferd als mit mir unterhielt, versuchte ich zur Auflockerung einen kleinen Scherz und sagte, dass die Stute das alles in Deutschland wohl erst wieder zeigen wird, wenn sie deutsch oder ich isländisch gelernt hat. Nach kurzer Sille kam dann die wohlüberlegte Antwort: "This horse does not unterstand icelandic. It will not unterstand German. It´s only the sound of the voice." Achso.
Anschließend sollte ein kleiner Ausritt unternommen werden. Ich hatte sofort alle Hände voll zu tun, die Stute legte zu ihrem Temperament, dass sie in der Halle gezeigt hatte, natürlich noch eine Schippe rauf. Weil Árni gerade noch so schön mit ihr kommuniziert hatte, wollte ich nicht so doll einwirken und so gings erstmal ziemlich schnell den Schotterweg runter. Sofort erhielt ich jedoch präzise Handlungsanweisungen: "Don´t be shy. She´s a good girl." Okay, also nach einsammeln des Zügelmaterials gings dann geregelt weiter, ich hatte aber trotzdem ganz schön zu tun und war ziemlich nervös, neben dem weltbesten Töltmeister dessen eigenes Pferd zu reiten.
Árni erklärte mir, während ich mit dem Erhalt meiner Selbstachtung und dem Tier restlos beschäftigt war, die Namen und die letzten Ausbruchsdaten sämtlicher umliegender Vulkane und das Pedigree sämtlicher schwarzer Hengste, an denen wir vorbeitölteten. Nicki filmte wieder alles und fragte mich nach dem Ritt begeistert, ob es nicht toll gewesen wäre, so viel Reitanweisungen bekommen zu haben. Sie war etwas baff, als ich ihr erzählte, dass das Reden und Gestikulieren nahezu ausschließlich touristische Gründe hatte.
Nach diesem Ritt habe ich mich sofort entscheiden, diese Stute zu kaufen. Sie hat die Tempovarianz im Tölt, die ich gesucht habe, hat eine dressurmäßige Grundausbildung, plinkert niedlich mit den Augen und hat dazu als Gimmick noch richtig guten Pass. Der einzige Nachteil, die Farbe, war von dem Moment an vergessen, wo ich vor ihr stand.
Ich hatte Nicki am Vorabend in der Kneipe bereits gesagt, dass, wenn ich die Stute kaufe, den Namen ändern möchte. "Þraut" (ausgesprochen: "th" wie im englischen, rollendes "r" und dann "eut") ist für meine Zunge auch nach mehreren Sprechübungen eine echte Herausforderung! Nicki meinte, dass es in Island als höflich gilt, dies dem Vorbesitzer mitzuteilen und es sein könnte, dass er nicht so begeistert ist. Es wäre besser, einen konkreten Vorschlag zu machen, wie ich das Pferd nennen möchte.
Sofort waren meine lange gehegten Bestrebungen, mein nächstes Islandpferd "She´s china", "Penny Lane" oder "Hailey Jade" zu nennen (Vorschlag von meinem Sohn) vernichtet. Silvia schlug Þokkadís vor, weil dann der erste Buchstabe erhalten bleibt und die Bedeutung auch schön ist. Also erklärte Nicki nach meinem 2. Proberitt, dass ich das Pferd kaufen und umnennen möchte. Sie redete ziemlich lange auf isländisch und ich verstand nur mehrmals die Namen Þraut und Þokkadís. Árni hörte reglos zu und sagte dann mit einem Minilächeln in meine Richtung schlicht: "Okay".
Die Ankaufsuntersuchung hat sie dann am nächsten Tag gut überstanden. Alle waren dabei und ich habe anschließend die komplette Dokumentation erhalten. Momentan habe ich von meinem neuen Pferd mehr Röntgenbilder als Bilder mit Fell.
Die vier Tage in Island waren wunderschön. Nicki hatte alles wunderbar vorbereitet und genau verstanden, was ich suche. Ohne ihre Hilfe hätte ich diese tolle Stute nicht gefunden. Nun muss sie nur noch nach Deutschland reisen. das ist gar nicht so einfach, wie gedacht. Auf Island ist wohl ein Transportflugzeug kaputt und sie steht auf der "Warteliste". Der Transport ab Belgien ist bereits organisiert, aber auch dort wurde mir gesagt, es sei momentan schwierig, Pferde auszufliegen. Wörtlich hieß es: "Fisch geht vor".
Vielleicht hätte ich sie doch „She's a dolphin" nennen sollen!